Der folgende Artikel kommt ganz harmlos daher. Und er bleibt harmlos, wenn man ihn nicht weiterdenkt und den einen oder anderen geistigen Schlenker macht, aber dafür gibt es ja eine Kommentarfunktion.
https://www.zeit.de/arbeit/2021-03/schule-corona-krise-homeschooling-lockdown-pandemie-soziale-ungleichheit?xing_share=news
Wie gesagt: Der Gedanke, dass Eltern keine Ersatzlehrer sein können und sollten, ist harmlos. Das kennen wir schon zu Genüge. Interessant ist dann der geistige Schlenker von Caroline Rosales auf den Bundesbildungsbericht, wonach “seit dem Jahr 2012 ein deutlicher Anstieg der täglichen Zeit zu beobachten ist, die Eltern für die Betreuung und Erziehung ihrer Kinder aufbringen – nicht nur bei Vätern, sondern absolut betrachtet sogar noch stärker bei den Müttern.” Leider bleibt die Autorin dann in altbekannten Gewässern, wenn die die Gründe dafür aufzählt, weshalb von Eltern “aktive Mitarbeit und ständige zeitliche Verfügbarkeit von Müttern und Vätern” erwartet wird, und dann auch noch einige bekannt Lösungsvorschläge präsentiert.
Leider denkt sie nicht über das Grundschulalter hinaus, denn dort wird es besonders spannend: Was geschieht denn auch unter normalen Umständen in den weiterführenden Schulen, wenn die Kinder an ihre Grenzen kommen und die Eltern nicht mehr helfen können? Sie brauchen Nachhilfe, entweder individuell oder in Grüppchen an Nachhilfeinstituten. Und was machen sie dort? Ihnen wird Stoff erklärt, wiederholt und vertieft. Wäre das nicht eigentlich die Aufgabe jeder guten Schule? Warum nehmen Schulen diese Aufgabe nur in einem viel zu geringen Umfang ernst? Die Antwort ist recht einfach: Weil den Lehrern die Zeit fehlt. Es fehlt die Zeit – und darauf geht auch Frau Rosales kurz ein – weil zu viel in die Lehrpläne hineingepackt wird. Zeigen Sie mir den Lehrplan, der so umgesetzt werden kann, dass die Klasse noch genug Zeit zum Wiederholen und Üben hat! Zudem sind die Klassen so groß, dass individuelle Betreuung an sich nicht möglich ist. Und Betreuung auch über den digitalen Weg, braucht wieder eines: Zeit! Sie merken, dass das altbekannt ist, aber lesen Sie weiter, denn der nächste geistige Schlenker kommt … jetzt!
Warum sind die Lehrpläne zu umfangreich und die Klassen zu groß? Warum haben wir für unsere Schüler zu wenig Zeit? Weil Unterrichten nicht von den Kindern aus gedacht wird. Es geht nicht darum, dass man sich überlegt, wie ein Schulsystem aussehen muss, in dem möglichst viele Kinder bestmöglich ihre Fähigkeiten entwickeln und später einmal dem Gemeinwesen zur Verfügung stellen können. Es geht vielmehr darum, wie eine Gruppe, die zu einem Großteil sogar aus Lehrern besteht, Inhalte, von dem die politisch Verantwortlichen glauben, dass sie gesellschaftlich relevant sind, auf die verschiedenen Jahrgangsstufen verteilt. Auf die Frage, ob da nicht zu viele Inhalte verteilt werden, weil das System ja funktioniert.
Es funktioniert aber nur, weil wir ausblenden, wie viele Kinder an diesem System in aller Stille scheitern. Und es funktioniert, weil wir akzeptiert haben, dass die öffentliche Schule nur einen Teil ihre Aufgabe erfüllt, nämlich den als “Input-Schule”, die Wissen und Kompetenzen lehren will. Die Aufgabe, dafür zu sorgen, dass das, was gelehrt wird, auch von den Schülern gelernt wird, ist ausgelagert. Das müssen entweder die Schüler selbst übernehmen, was nur die guten schaffen, oder die Eltern oder eben die Nachhilfeeinrichtungen. Im Grunde ist unser Schulsystem teilprivatisiert.
Es wäre nur recht und billig, wenn der Staat auch hier seine Aufgabe ernstnähme, indem er erst einmal dafür sorgt, dass die Voraussetzungen für einen nachhaltigen Unterricht geschaffen werden; zudem müssten die Lehrpläne so ausgedünnt werden, dass es für Lehrer und Schüler möglich wird, sie auch unter ungünstigen Umstanden zu erfüllen. Und schließlich muss der privatisierte Bereich der Vertiefung und Wiederholung endlich in die Schule geholt werden: Konsequent gedacht, brauchen wir überall Lernbüros, Hausaufgabenbetreuung und schulnahe Nachilfeinstitute (wo wir vielleicht auch unseren guten Schüler einsetzen könnten).
Ich weiß, dass das viel Geld kosten würde. Ich weiß auch, dass das alles etwas groß gedacht ist. Aber immerhhin werden pro Schüler ca. 6800 € aufgewendet. Da ist es wahrlich nicht zu viel verlangt, dass sich auch die verantwortlichen Stellen überlegen, wie dieses Geld so investiert wird, dass die Kinder tatsächlich etwas gelernt haben, ohne dass die Hauptlast im privaten Bereich liegt. Ich unterstelle den Verantwortlichen gar nicht, dass sie das Geld nicht investieren wollten, ich unterstelle ihnen, dass sie mit dem zufrieden sind, was es gibt. Schade. Denn es geht wieder einmal an den Schülern, Eltern und Lehrern hinaus. Und an uns als Berater und Begleiter.